Selbstbestimmt leben - Klingt toll, aber geht das überhaupt?
Unsere Autorin Sara di Mare fragt sich: Was bedeutet "Selbstbestimmung" eigentlich wirklich für unseren Alltag? Wie viel Selbstbestimmung ist in unseren gesellschaftlichen Strukturen wirklich möglich?

Es ist Montag, 14:53 Uhr und ich sitze draußen vor einem Café. Die Sonne beflügelt mich in meinem Tun. Das kann ich aktuell jeden Montag so machen, wenn das Wetter schön ist, da ich selbstständig bin. Ich habe das Privileg, mir meine Zeit selbst einzuteilen. Doch das war nicht immer so. Bis vor zwei Jahren habe ich in einem “normalen” 9 to 5 Job im Büro gearbeitet. Mein Privatleben fand abends oder am Wochenende statt. Davor habe ich studiert, davor war ich in der Schule, davor war ich im Kindergarten…. Und so kam es, dass ich mir neulich die Frage gestellt habe: Wann haben wir verlernt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen? Und was genau bedeutet “Selbstbestimmtheit” eigentlich?

Die Definition – dürfen wir machen, was wir wollen?
Das junge Politik-Lexikon schreibt: „Mit Selbstbestimmung ist gemeint, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden darf, wie er leben möchte. Diese Freiheit, über sein Leben selbst zu bestimmen, ist ein Menschenrecht, das auch durch unsere Verfassung geschützt wird. „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt … “ — Art. 2 Abs. 1 GG (Auszug)“

Die Freiheit endet also dann, wenn man andere damit verletzt oder gegen die Vorschriften unserer Verfassung verstößt. Solange dies aber nicht der Fall ist, kann man machen was man will. Oder? Manchmal wissen wir aber nicht so genau, was wir wollen und richten uns – bewusst oder unbewusst – danach was andere tun, was in den Medien dargestellt wird, oder wovon wir glauben, dass es von uns erwartet wird. Und oftmals sind uns in gewissen Entscheidungen auch schlichtweg die Hände gebunden.

Vorweg sei festgehalten, dass die folgenden Gedanken aus einer sehr privilegierten Position heraus geschrieben werden können: Ich bin nicht körperlich eingeschränkt, mein Land befindet sich nicht im Krieg, ich muss mich um kein anderes Lebewesen als mich selbst kümmern und leiste auch sonst keine Care-Arbeit. Dessen bin ich mir bewusst.

Unterschiedlicher Alltag, unterschiedlich viel Selbstbestimmung
Kürzlich unterhielt ich mich mit einer Freundin, die alleinerziehend ist, wie schwierig es ist, ein selbst erfülltes Leben zu führen und gleichzeitig für die eigene finanzielle Unabhängigkeit und ggf. die Zukunft der Kinder zu sorgen. Ich versuche mich an meine Kindheit zu erinnern: Wie bei vielen anderen auch, war der Tagesrhythmus bereits früh vorgegeben. Und solange ich mich daran zurückerinnern kann, fiel es mir schwer, mich anzupassen. Ich mochte es noch nie: Aufstehen, wenn andere das sagen, schlafen gehen, wenn andere das sagen, basteln, wenn andere das sagen… Aber so war das eben. Im Kindergarten, in der Schule. Der Zugang zu Bildung ist ohne Frage ein großes Privileg, nur die Strukturen, die Rahmenbedingungen, die lassen mich stutzen und fragen: Geht es nicht auch anders? 

Geschichten über Mutausbrüche.
dein #ifeelyoumoment im Alltag
#ehrlich #enttabuisierend #emotional

Heute habe ich das Glück ein mehr oder weniger selbstbestimmtes Leben führen zu können. Ich stehe meistens erst nach 8 h Schlaf auf, starte entspannt mit einem Frühstück in den Tag, gefolgt von einer kleinen Yoga-Session und setze mich an den Schreibtisch, wenn ich mich gerade danach fühle. Wenn ich merke, dass mir der nötige Fokus dafür fehlt, mache ich stattdessen den Haushalt, oder gehe spazieren. Ich lebe den Luxus einer frei schaffenden Person.

Während ich meiner Freundin dann auch noch davon erzähle, dass ich seit einem Jahr zur Therapie gehe und gerade lerne, auf meine mentale Gesundheit zu achten, merke ich, wie sich ihr Blick versteinert. Sie ringt nach Worten und gibt zu, dass sie neidisch auf mich ist. Ich bin kinderlos, ohne Partner und habe das Glück, momentan nur auf mich selbst achten zu müssen. Und selbst das fällt mir nicht immer leicht. Sie könne sich dieses Privileg nicht leisten und müsse oft einfach funktionieren. Einer der vielen Augenblicke, in denen mir wieder klar wird, weshalb ich mir – zumindest aktuell – nicht vorstellen kann, Mutter zu werden. Ich ziehe meinen Hut vor jeder Frau, die es schafft, nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder zu sorgen.

Wann verlernt man, auf seine Bedürfnisse zu achten?

Als ich frisch aus dem Studium kam und in den Berufsalltag einstieg, gab ich von Anfang an mehr als 100%. Kaum Fehltage, früh kommen, spät – und erst nach Feierabend – gehen. Das Verrückte war, dass ich relativ schnell erkannte: Diese Erwartungshaltung existiert nur in meinem Kopf. Das Niveau wurde zu meinem Glück nicht von meinem Arbeitgeber erwartet, sondern von mir selbst. Und halten, halten konnte ich dieses definitiv nicht. 

So lernte ich, meine Grenzen und die Signale meines Körpers zu achten. Wenn es mir nicht gut ging, blieb ich zu Hause. Manchmal auch ohne jegliche Erklärung. Es ging mir nicht gut, Ende der Diskussion. Mir ist klar, dass das selbst heutzutage leider eher die Ausnahme, als die Regel ist. Und ich frage mich: Warum!? Warum haben wir so große Angst davor zu sagen „Ich habe gerade keine Energie dafür. Ich brauche eine Pause.“?

Noch schwieriger wird es mit der Pause, wenn man nicht nur für sich, sondern auch noch für ein anderes Lebewesen sorgen muss. Aber ich bin der Meinung:
Es sollte kein Luxus sein, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.

Es sollte kein Luxus sein, mit seiner eigenen Energie zu arbeiten, anstatt gegen sie.

Es sollte kein Luxus sein, sich um seine mentale Gesundheit zu kümmern.

Es sollte kein Luxus sein, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen.

Wo Selbstbestimmung endet – manchmal eben im Verkehrsstau
Neulich im Bus saß mir eine junge Mutter mit Kinderwagen gegenüber. Neben unserem Fenster stand ein Ferrari Cabrio mit einem Elternpaar vorne und zwei Jungen auf dem Rücksitz im Stau. Vielleicht dachte sie in dem Moment ähnliches wie ich: Sie würde ihre Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit niemals in einem Ferrari irgendwo hinfahren. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Dann musste ich schmunzeln, denn ich stellte fast: Egal ob im Bus oder Sportwagen, wir alle waren in dem Moment der selben Situation ausgeliefert. Einer Situation, die wir nicht unter Kontrolle hatten.

Egal wie reich, wie viele Bildungsabschlüsse, mit Eigentum oder von Sozialleistungen abhängig – wir alle erleben Momente, in denen wir nicht direkt selbst über unsere Situation bestimmen können. Und dann kommt es darauf an, wie wir mit ihnen umgehen. Ärgern wir uns, weil wir nicht vorwärts kommen und eventuell zu spät zu unserem Termin erscheinen? Oder können wir uns an einer Begegnung, einer Beobachtung erfreuen, die wir sonst vielleicht nicht gemacht hätten?

Ich denke, dass sich spätestens seit der Pandemie immer mehr Menschen Gedanken darüber machen, was für eine Art Leben sie eigentlich führen möchten – mit oder ohne Hamsterrad. Andere wiederum mussten erst recht schauen, dass das Rad sich weiterdreht. Ich für meinen Teil darf lernen, mit meinen Freiheiten umzugehen. Aber eines ist klar: Dass ich mir diese Gedanken überhaupt machen kann, ist ein großes Geschenk. Und ich bin gespannt welche selbstbestimmten Antworten sich mir noch offenbaren werden.

Warum haben wir so große Angst davor zu sagen „Ich habe gerade keine Energie dafür. Ich brauche eine Pause.“?

Wo Selbstbestimmung endet – manchmal eben im Verkehrsstau
Neulich im Bus saß mir eine junge Mutter mit Kinderwagen gegenüber. Neben unserem Fenster stand ein Ferrari Cabrio mit einem Elternpaar vorne und zwei Jungen auf dem Rücksitz im Stau. Vielleicht dachte sie in dem Moment ähnliches wie ich: Sie würde ihre Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit niemals in einem Ferrari irgendwo hinfahren. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Dann musste ich schmunzeln, denn ich stellte fast: Egal ob im Bus oder Sportwagen, wir alle waren in dem Moment der selben Situation ausgeliefert. Einer Situation, die wir nicht unter Kontrolle hatten.

Egal wie reich, wie viele Bildungsabschlüsse, mit Eigentum oder von Sozialleistungen abhängig – wir alle erleben Momente, in denen wir nicht direkt selbst über unsere Situation bestimmen können. Und dann kommt es darauf an, wie wir mit ihnen umgehen. Ärgern wir uns, weil wir nicht vorwärts kommen und eventuell zu spät zu unserem Termin erscheinen? Oder können wir uns an einer Begegnung, einer Beobachtung erfreuen, die wir sonst vielleicht nicht gemacht hätten?

Ich denke, dass sich spätestens seit der Pandemie immer mehr Menschen Gedanken darüber machen, was für eine Art Leben sie eigentlich führen möchten – mit oder ohne Hamsterrad. Andere wiederum mussten erst recht schauen, dass das Rad sich weiterdreht. Ich für meinen Teil darf lernen, mit meinen Freiheiten umzugehen. Aber eines ist klar: Dass ich mir diese Gedanken überhaupt machen kann, ist ein großes Geschenk. Und ich bin gespannt welche selbstbestimmten Antworten sich mir noch offenbaren werden.

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Sara di Mare

freie Autorin aus Hamburg
ehrlich. empathisch. sensibel.

Passendes zum Thema?

Über Definitionen von Erfolg, Neuanfänge, Extremsituationen und die Überraschungen die das Leben für alle von uns bereithält geht es auch in der emspirity Podcastfolge mit Sarah Rose.

In der Folge geht es um die Flut an Coachingangeboten, über das Suchen im Außen und unser ureigenes Navi – unsere Gefühle.

Sarah Rose verrät vier Tricks, was wir tun können, wenn wir in einer schwierigen Phase sind und das Gefühl haben, es wird sich nie wieder etwas verändern: 

  1. Frage dich „Was ist ein besserer Gedanke, als der den ich gerade denke?“
  2. Arbeite kontinuierlich an deiner inneren Haltung.
  3. Gehe Schritt für Schritt voran.
  4. Sei offen für Neues und neue Gedanken.
Du findest den emspirity Podcast auf allen üblichen Podcast-Kanälen. Foto: Lisa Doneff

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Author: fs-admin