Heute habe ich das Glück ein mehr oder weniger selbstbestimmtes Leben führen zu können. Ich stehe meistens erst nach 8 h Schlaf auf, starte entspannt mit einem Frühstück in den Tag, gefolgt von einer kleinen Yoga-Session und setze mich an den Schreibtisch, wenn ich mich gerade danach fühle. Wenn ich merke, dass mir der nötige Fokus dafür fehlt, mache ich stattdessen den Haushalt, oder gehe spazieren. Ich lebe den Luxus einer frei schaffenden Person.
Während ich meiner Freundin dann auch noch davon erzähle, dass ich seit einem Jahr zur Therapie gehe und gerade lerne, auf meine mentale Gesundheit zu achten, merke ich, wie sich ihr Blick versteinert. Sie ringt nach Worten und gibt zu, dass sie neidisch auf mich ist. Ich bin kinderlos, ohne Partner und habe das Glück, momentan nur auf mich selbst achten zu müssen. Und selbst das fällt mir nicht immer leicht. Sie könne sich dieses Privileg nicht leisten und müsse oft einfach funktionieren. Einer der vielen Augenblicke, in denen mir wieder klar wird, weshalb ich mir – zumindest aktuell – nicht vorstellen kann, Mutter zu werden. Ich ziehe meinen Hut vor jeder Frau, die es schafft, nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder zu sorgen.
Wann verlernt man, auf seine Bedürfnisse zu achten?
Als ich frisch aus dem Studium kam und in den Berufsalltag einstieg, gab ich von Anfang an mehr als 100%. Kaum Fehltage, früh kommen, spät – und erst nach Feierabend – gehen. Das Verrückte war, dass ich relativ schnell erkannte: Diese Erwartungshaltung existiert nur in meinem Kopf. Das Niveau wurde zu meinem Glück nicht von meinem Arbeitgeber erwartet, sondern von mir selbst. Und halten, halten konnte ich dieses definitiv nicht.
So lernte ich, meine Grenzen und die Signale meines Körpers zu achten. Wenn es mir nicht gut ging, blieb ich zu Hause. Manchmal auch ohne jegliche Erklärung. Es ging mir nicht gut, Ende der Diskussion. Mir ist klar, dass das selbst heutzutage leider eher die Ausnahme, als die Regel ist. Und ich frage mich: Warum!? Warum haben wir so große Angst davor zu sagen „Ich habe gerade keine Energie dafür. Ich brauche eine Pause.“?
Noch schwieriger wird es mit der Pause, wenn man nicht nur für sich, sondern auch noch für ein anderes Lebewesen sorgen muss. Aber ich bin der Meinung:
Es sollte kein Luxus sein, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.
Es sollte kein Luxus sein, mit seiner eigenen Energie zu arbeiten, anstatt gegen sie.
Es sollte kein Luxus sein, sich um seine mentale Gesundheit zu kümmern.
Es sollte kein Luxus sein, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen.
Wo Selbstbestimmung endet – manchmal eben im Verkehrsstau
Neulich im Bus saß mir eine junge Mutter mit Kinderwagen gegenüber. Neben unserem Fenster stand ein Ferrari Cabrio mit einem Elternpaar vorne und zwei Jungen auf dem Rücksitz im Stau. Vielleicht dachte sie in dem Moment ähnliches wie ich: Sie würde ihre Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit niemals in einem Ferrari irgendwo hinfahren. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Dann musste ich schmunzeln, denn ich stellte fast: Egal ob im Bus oder Sportwagen, wir alle waren in dem Moment der selben Situation ausgeliefert. Einer Situation, die wir nicht unter Kontrolle hatten.
Egal wie reich, wie viele Bildungsabschlüsse, mit Eigentum oder von Sozialleistungen abhängig – wir alle erleben Momente, in denen wir nicht direkt selbst über unsere Situation bestimmen können. Und dann kommt es darauf an, wie wir mit ihnen umgehen. Ärgern wir uns, weil wir nicht vorwärts kommen und eventuell zu spät zu unserem Termin erscheinen? Oder können wir uns an einer Begegnung, einer Beobachtung erfreuen, die wir sonst vielleicht nicht gemacht hätten?
Ich denke, dass sich spätestens seit der Pandemie immer mehr Menschen Gedanken darüber machen, was für eine Art Leben sie eigentlich führen möchten – mit oder ohne Hamsterrad. Andere wiederum mussten erst recht schauen, dass das Rad sich weiterdreht. Ich für meinen Teil darf lernen, mit meinen Freiheiten umzugehen. Aber eines ist klar: Dass ich mir diese Gedanken überhaupt machen kann, ist ein großes Geschenk. Und ich bin gespannt welche selbstbestimmten Antworten sich mir noch offenbaren werden.